GR10 Etappe 1: Hendaye – Olhette

"Jalgi hadi mundura" (Baskisch für "Geh in die Welt hinaus")

Die Etappe 1 des Pyrenäenwegs von Hendaye nach Olhette steigt zwar nur bis 513 m Höhe auf. Aber aufgrund der Gesamt-Höhenmeter und Länge ist sie dennoch nicht zu unterschätzen – insbesondere bei nassem Wetter, was im Pays Basque keine Seltenheit ist. Bei klarem Wetter ergeben sich wunderbare Ausblicke auf den Atlantik und die Hügel des Baskenlandes.

Strecke: 21,7 km, Aufstieg 1.054 Hm, Abstieg 989 Hm

Die Etappe beginnt am GR10-Schild gegenüber dem Alten Casino von Hendaye. Von dort geht es stadteinwärts bis zum ersten Kreisel, wo die Markierungen dann am dritten Abzweig nach schräg rechts zur Baie de Txingudi führen.

An diesem Schild beim Alten Casino beginnt der GR10
An diesem Schild beim Alten Casino beginnt der GR10

Der Boulevard de la Baie de Chingoudy führt an der schönen Bucht des Flusses Bidassoa entlang, in der sich unzählige weiße Boote und Jachten tummeln. Der Bidassoa hat seinen Ursprung tief im spanischen Baskenland (País Vasco) und wird kurz hinter dem spanischen Dörfchen Bera zum Grenzfluss zwischen Spanien und Frankreich. In der Baie de Txingudi, die mit ihren Sandbänken auch vielen Vögeln ein Zuhause bietet, vermischt sich der Bidassoa mit dem Atlantik.

Kurz nach einem Sportplatz biegt der Weg nach links ab, unterquert eine Steinbrücke und erreicht bald einen Kreisel. Erfolglos suche ich nach rot-weißen Markierungen, werde aber nicht fündig. Gerade will ich in eine der Straßen in Wegrichtung gehen, da bemerke ich vor dem Hofdurchgang eines Eckhauses mit roter Betonsäule einen Holzpfosten auf dem Gehweg, der ein kleines gelbes Schild trägt. Und siehe da, das Schild trägt die Aufschrift GR10. Ich wundere mich, dass ein Wanderweg mitten durch den Innenhof gehen soll, lasse mich jedoch auf das Abenteuer ein, da am hinteren Ende des Hofes eine Gasse hinausführt.

Nach dem Innenhof leiten wieder rot-weiße Balken durch die Gassen und es geht leicht bergauf. Ein Fußgängertunnel unterquert die Bahngleise, auf einer kleinen Straße geht es weiter hoch bis zum Boulevard de l'Empereur. Nach erfolgreicher Überquerung dieser recht stark befahrenen Hauptstraße geht es schließlich hoch bis zur Rue de Pausoa. Endlich liegt die Stadt hinter mir. Der Landstraße nach rechts folgend, erreiche ich am Hochpunkt den Abzweig des GR10 an einer Schotterpiste.

Den Weg bis hierher bin ich ja bereits gestern, an meinem Anreisetag, als Verdauungsspaziergang gegangen. Nun stehe ich also an meinem ersten echten Wandertag auf dem GR10 wieder hier, nur dass es heute in Strömen regnet und ich mit dem Taxi hierhergekommen bin.

Start im Dauerregen

Eingewickelt in meinen Regenponcho und froh, dass es endlich losgeht, folge ich zielstrebig den Markierungen in ein kleines Wäldchen hinein. Mit leichtem Auf und Ab geht es auf Feldwegen und Schotterpisten weiter, vorbei an ein paar Bauernhöfen. Nach der Überquerung der Route Nationale N10/D810 und der Unterquerung der A63 komme ich zu einem Abzweig bei Biriatou.

Um Infos für meinen Wanderführer einzuholen, mache ich einen Abstecher nach Biriatou. Unterhalb der Kirche steht die Türe des Auberge/Restaurant Hiribarren offen (*1). Ich lege meinen Rucksack und Regenponcho auf einem Tisch unter dem Vordach ab und rufe vom Eingang hinein in das Wirtshaus. Wirtin und Wirt eilen herbei und geben mir hektisch zu verstehen, ich solle ja nicht mit meinen nassen Stiefeln eintreten, sie hätten gerade erst die Böden gewischt und hätten sowieso noch nicht geöffnet. Dafür habe ich natürlich Verständnis und erkläre freundlich, dass ich für mein Buch nur ein paar Informationen zur Herberge haben möchte. Erleichtert aber etwas reserviert beantworten sie geduldig meine Fragen und wünschen mir zum Abschied "bon courage". Da das Hôtel-Restaurant Les Jardins de Bakea noch geschlossen ist, setze ich meinen Weg fort.

Wegschilder am Ortsrand von Biriatou
Wegschilder am Ortsrand von Biriatou

Am Ortsrand von Biriatou zweigt der Weg nun Richtung Wald ab und wird deutlich steiler. Am Ende des Waldes erreiche ich unterhalb eines großen Strommastes eine Weggabelung. Rechts am Berghang entlang verläuft die alte Normalvariante des GR10 (sinnvoll bei schlechtem Wetter) mit geringer Steigung bis zum Col des Poiriers, der neue offizielle Verlauf führt geradeaus steil bergauf. Auf den regennassen Pfaden rutsche ich ständig aus. Komisch, war der Rucksack zuhause auch schon so schwer? Keuchend erreiche ich die Panoramatafel unterhalb des Felsens Rocher des Perdrix. Der Regen fällt immer noch unablässig und kalt. Auf der halbkreisförmigen Panoramatafel sind von Bilbao im Westen bis Biarritz im Norden etliche Örtlichkeiten vermerkt, die bei klarem Himmel zu sehen sind.

Die Panoramatafel am Rocher des Perdrix (280 m) gibt Orientierung
Die Panoramatafel am Rocher des Perdrix (280 m) gibt Orientierung

Davon kann heute leider nicht die Rede sein, die ganze Küstenlinie versteckt sich unter dem regengrauen Himmel (*2). Der Name Rocher des Perdrix erinnert mich unweigerlich an die Asterix und Obelix Comics, die ich als Jugendlicher verschlungen hatte. Dort endeten auch alle Namen auf "-ix". Während ich vor mich hin grinsend darüber sinniere, ob die Gallier aus dieser Ecke kamen, höre ich etwas unterhalb von mir Stimmen.

Vom Outback in die Pyrenäen

Ein Wandererpaar quält sich – wie zuvor ich – vorsichtig die matschigen Pfade hoch und wir grüßen einander artig mit "bonjour". Während die Frau wie ich einen großen Regenponcho trägt, hat der Mann lediglich ein T-Shirt und Wandershorts an. Bald stellt sich heraus, dass sie Australier sind und wir switchen vom Französischen ins Englische. Auch sie möchten den GR10 wandern und danach noch Städtetrips in Europa machen. Die beiden sehr sympathischen Mittsechziger Paul und Yve sind in Rente und haben daher viel Zeit mitgebracht. Unter anderem wollen Sie auch ihre Kinder besuchen, die in Europa verstreut leben und arbeiten. Nachdem auch die beiden etwas Luft geschnappt haben und Paul anfängt zu frösteln, beschließen wir, gemeinsam weiterzugehen.

Der Weg steigt weiter an und je höher wir kommen, umso stärker wird der Wind. Der Regen peitscht uns ins Gesicht, während wir uns durch kniehohen Farn auf schlüpfrigen Pfaden hochkämpfen. Die Wolkendecke ist so niedrig, dass wir bald in dichtem Nebel laufen. Endlich erreichen wir den Gipfel des Xoldokogaïna (486 m), den eine kleine Metallskulptur statt eines Gipfelkreuzes schmückt. Aufgrund des strömenden Regens ist an ein Foto nicht zu denken, da ich nicht riskieren möchte, dass mein Fotoapparat durch Nässe beschädigt wird (*3).

Blick vom "Gipfelkreuz" des Xoldokogaïna (486 m) auf den La Rhune (905 m)
Blick vom "Gipfelkreuz" des Xoldokogaïna (486 m) auf den La Rhune (905 m)

Nun geht es bergab und wir müssen aufpassen, nicht auszurutschen und hinzufallen. Durch den dichten Nebel und den Farnbewuchs sind die relativ spärlichen und weit auseinander liegenden Markierungen meist erst zu sehen, wenn man fast direkt davorsteht. Die vielen Trampelpfade, die durch hier grasende Pferde und Kühe mit der Zeit entstanden sind, können in die Irre führen. Die Wander-App Orux-Maps, die ich auf dem Handy habe und die auch offline funktioniert, lotst uns jedoch immer wieder zuverlässig auf den richtigen Pfad. Gut, dass ich mein Handy in einen Gefrierbeutel gesteckt hatte, da es nicht wasserfest ist.

Am Col des Poiriers (316 m) finden wir am Waldrand unter Bäumen ein wenig Schutz vor dem Regen und legen eine Snackpause ein. Studentenfutter und Schokokugeln werden herumgereicht, Paul zieht sich eine leichte Jacke an. Beim Gehen engen ihn Jacken ein, erläutert er, aber bei Pausen ziehe er eine an, wenn es kühl ist.

Nach fünf Minuten setzen wir unseren Weg fort. Wieder steil hoch, teilweise durch Wald, teilweise über Farnwiesen, mühen wir uns bis knapp unter den Gipfel des Mandale (574 m) und erreichen auf 513 Metern Höhe den höchsten Punkt der Etappe. Der Abstieg erfolgt bald auf einer Forstpiste, von der wir kurz vor den Ventas d'Ibardin rechts abzweigen und uns auf einem ausgetretenen, rutschigen Fußpfad durch dichtes Gebüsch schlängeln. Als sich das Buschwerk lichtet, sehen wir unterhalb und vor uns die ersten Häuser der Ventas d'Ibardin, die direkt auf der französisch-spanischen Grenzlinie liegen. (*3)

Leichter gedacht als getan

Eine Minute später stehen wir vor dem ersten Haus, der Venta Elizalde, einem Restaurant/Café/Bar mit Pension. Wir legen unsere Rucksäcke an der Hauswand unter der Markise ab und setzen uns erschöpft an den einzigen trockenen Metalltisch darunter. Da niemand aus dem Café Anstalten macht, zu uns hinaus zu kommen, holen wir uns drinnen Kaffee und im dazugehörigen Miniladen ein paar Snacks, und setzen uns an einen der Tische innen ins Warme.

Die Straße an den Ventas d'Ibardin verläuft direkt auf der französisch-spanische Grenzlinie
Die Straße an den Ventas d'Ibardin verläuft direkt auf der französisch-spanischen Grenzlinie

Ich schaue auf meinem Handy nach, wie weit es noch bis Olhette ist. Es sind noch knapp acht Kilometer und etliche Höhenmeter auf und ab. Ein kurzer Überschlag nach der DAV-Formel ergibt eine restliche Netto-Gehzeit von knapp drei Stunden und es ist bereits kurz vor vier Uhr. Der Regen ist zwar inzwischen leichter, aber die Pfade sind ja alle nass und rutschig. Die Freude in unseren Gesichtern hält sich verständlicherweise in Grenzen.

Die erste Etappe hatten sowohl Yve und Paul als auch ich uns eigentlich leichter vorgestellt. Durch die maximale Höhe von etwa 500 Metern auf dem Etappenprofil hatte ich irrtümlich gedacht, dies würde ein gemächlicher Einstieg in den Pyrenäenweg werden. Aber mit jeweils um die 1.000 Höhenmetern auf und ab ist die Etappe recht anspruchsvoll. Die regennassen Pfade erschwerten das Vorwärtskommen zusätzlich.

Ich rufe im Gîte d'étape Trapéro Baïta (*4) in Olhette an, wo ich eine Reservierung für eine Übernachtung habe. In recht holprigem Französisch informiere ich den Wirt des Gîte d'étapes, André, dass ich und zwei weitere Wanderer voraussichtlich irgendwann zwischen sieben und acht Uhr abends ankommen würden. André spricht zu meiner Überraschung sehr gut Englisch und erklärt mir, dass er den restlichen Wegabschnitt sehr gut kennt. Bei diesem Wetter und unserem bisherigen Tempo würden wir es niemals bis abends acht Uhr zu ihm schaffen, meint er. Er bietet uns an, uns in 20 Minuten mit seinem Auto abzuholen. Wir können unser Glück gar nicht fassen und sagen natürlich dankend zu (*5 für den Rest der Etappe).

Grenzerfahrung Shopperparadies

Während wir auf André warten, lasse ich mir von der Wirtin der Venta Elizalde Informationen zu Preisen, Öffnungszeiten und Kontaktdaten der Pension geben. Da die Wirtin nur Spanisch spricht, muss die etwa 16-jährige Enkelin, die auch Französisch und ein wenig Englisch spricht, übersetzen. "Ich hätte im Spanischunterricht aufpassen sollen", denke ich, bis mir einfällt, dass ich gar keinen Spanischunterricht hatte.

"Venta" ist spanisch für "Verkauf". Entlang des französisch-spanischen Grenzverlaufs gibt es etliche Ventas auf der spanischen Seite. Sie bestehen hauptsächlich aus Supermärkten, kleinen Kaufhäusern und Läden, in denen alles viel günstiger ist als auf der französischen Seite. Insbesondere Alkohol, Zigaretten, Parfums, Kleidung, aber auch Elektronik und sonstiger Ramsch und Kitsch. Cafés und Restaurants bieten Stärkung für das "Shopping-Erlebnis" der einkaufswütigen Klientel. In den Pyrénées-Orientales ist Le Perthus (Etappe 52) einer dieser Orte, die ausnahmslos immer überfüllt und laut sind und jeden Wanderer möglichst schnell das Weite suchen lassen.

Baskische Gastfreundschaft

"Schlumpfhütte" des Gîte d'étape Trapero Baïta
"Schlumpfhütte" des Gîte d'étape Trapero Baïta

André holt uns bald mit seinem grauen Minivan ab und bringt uns "schiffbrüchige" zu seiner Wanderherberge in Olhette. Ein paar andere Gäste und Andrés Familie begrüßen uns alle sehr warmherzig. Die Wanderherberge besteht im Prinzip aus einer länglichen Hütte im Garten hinter dem Wohnhaus, in der die Etagenbetten und Duschen für die Wanderer sind. In einer Ecke des Gartens steht außerdem eine lustige kleine Schlumpf-Hütte mit Platz für zwei Personen. Gegessen wird an einem langen Gemeinschaftstisch auf der überdachten Gartenterrasse des Hauses, die an einen kleinen Swimming-Pool grenzt. Die Küche ist von der Terrasse zugänglich und dient gleichzeitig als Herbergsküche.

Paul aus Australien und ich im Gîte d'étape in Olhette
Paul aus Australien und ich im Gîte d'étape in Olhette

Nachdem wir uns eingerichtet und geduscht haben, gesellen wir uns am langen Esstisch auf der Terrasse zu den anderen. André und seine Frau haben schon Wein und Brot auf den Tisch gestellt und bereiten in der Küche das Abendessen zu.

Als Hauptgang wird eine dampfende Garbure in einem riesigen Topf aufgetischt, aus dem sich jeder in seinen Teller schöpft. Der köstliche und stärkende Eintopf ist ein typisch baskisches Gericht, dessen Zutaten je nach Region variieren. Grundlage ist stets Gemüse unterschiedlicher Art, oft ist auch Fleisch enthalten, sei es Rind, Schwein, Schaf, Geflügel oder Kaninchen. Zum Nachtisch gibt es verschiedene Käsesorten und Obst. Nach dem gemeinsamen Essen – Gäste und Wirtsfamilie – plaudern wir alle fröhlich durcheinander und trinken leckeren Rotwein.

Ein gewichtiges Problem

Nach einer Weile packe ich meinen Laptop aus dem Rucksack, weil ich meine tagsüber aufgenommenen Sprachnotizen aufschreiben möchte. Ich habe mir fest vorgenommen, das täglich abends zu erledigen, solange die Erinnerungen des Tages noch frisch sind. Außerdem will ich die GPS-Aufzeichnungen und die wenigen Fotos, die ich machen konnte, täglich sichern.

André bietet mir dafür das Esszimmer an, damit ich in Ruhe schreiben kann. Er ist selbst ein erfahrener Globetrotter und Wanderer, und zeigt mir stolz seine alten Wandertagebücher mit Notizen aus aller Welt. Aber als er sieht, was ich alles im Rucksack dabeihabe und ihn hochhebt, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen. "Du bist verrückt, Fuat", meint er, "du hast zuviel Gepäck dabei. Mit soviel Gewicht wirst du den GR10 nicht schaffen". Er geht den Inhalt durch und zeigt auf einige Dinge, die ich seiner Meinung nach loswerden sollte. Ich erläutere wiederum für jedes Teil den Grund, warum ich es eingepackt habe. Angesichts seiner plausibel klingenden Kritik kommen jedoch auch bei mir leise Zweifel auf. Hätte ich nicht doch auf das eine oder andere verzichten können?

Das Aufschreiben meiner dutzenden Sprachnotizen nimmt etwa eine Stunde in Anspruch. Als ich fertig bin, ist es fast elf Uhr nachts, die anderen sind schon längst schlafen gegangen. Auch ich bin hundemüde, packe alles zusammen und gehe durch den Garten zum Schlaflager. So leise wie möglich lege mich ins Bett, um die anderen nicht zu stören, und schlafe in Nullkommanix ein.

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Updates:

*1: Mit Stand April 2020 ist die in meinem Buch auf S. 48 angegebene Webseite des Auberge/Restaurant Hiribarren nicht mehr vorhanden. Stattdessen erscheint unter der Webadresse nun eine seltsame Webseite mit asiatischen Schriftzeichen.

*2: Im Sommer 2019 war ich wieder ein paar Tage in diesem Abschnitt unterwegs. Dank guten Wetters konnte ich mich von dem schönen Küstenpanorama überzeugen und ein paar schöne Fotos machen. Auf dem Foto oben reicht der Blick links bis zum spanischen Jaizkibel, dem Hausberg von Irún und Hondarribia.

*3: Das Foto ist vom Sommer 2019.

*4: Das Gîte d'étape Trapéro Baïta d'Olhette (S. 51 in meinem Buch) musste leider Ende September 2018 aus familiären Gründen geschlossen werden. Eine weitere Unterkunft, das Hôtel-Restaurant Trabenia (auch S. 51), ist nur wenige Meter entfernt. Folgt dafür der kleinen Straße, auf der ihr hinabgekommen seid, noch 50 Meter bis zur Hauptstraße. Das Trabenia ist rechts auf der gegenüber liegenden Straßenseite.

Wer stattdessen gratis übernachten möchte und es dafür gerne auch mal etwas spartanischer angeht, kann sein Glück in einer Nothütte versuchen, die aber noch ca. 4 km entfernt auf 560 m Höhe steht (ca. 2 Gehstunden). Die Cabane Arano-Xola steht auf der morgigen Etappe ca. 150 m links oberhalb des Col de Trois Fontaines (563 m) auf einem Hügel am Ende einer Felsgruppe, und soll vier Personen Platz zum Schlafen bieten. Wasser gibt es zwar in den Quellen im sumpfigen Gebiet rund um den Col des Trois Fontaines, aber im Sommer können diese oft ausgetrocknet sein. Ich selbst kenne die Nothütte nicht, sondern wurde nach meiner Wanderung durch jemand anderes darauf aufmerksam gemacht. Daher kann ich keine Aussage darüber treffen, ob sie sauber ist.

*5: Nach Beendigung des gesamten GR10 bin ich im August, nachdem ich mich zuhause zwei Wochen erholt habe, nochmal in die Pyrenäen gefahren, um einzelne Abschnitte, die ich wetterbedingt abkürzen musste, für mein Buch nachzuholen.

Im Folgenden die Beschreibung des Abschnitts zwischen den Ventas d'Ibardin und Olhette.

Von Ibardin nach Olhette

Nachdem ich gestern wieder im Gîte d'étape Trapéro Baïta übernachtet habe, hat mich der Wirt André heute früh freundlicherweise mit seinem Auto zur Venta Elizalde gefahren. Während ich die Straße entlang der Ventas d'Ibardin hinabgehe, schimmert links der Atlantik im Sonnenlicht. Die Bucht mit Saint-Jean-de-Luz und Ciboure ist deutlich zu erkennen.

Blick von den Ventas d'Ibardin auf den Altlantik und die Bucht von Saint-Jean-de-Luz und Ciboure
Blick von den Ventas d'Ibardin auf den Altlantik und die Bucht von Saint-Jean-de-Luz und Ciboure

Unterhalb der Ventas d'Ibardin weist eine Markierung am Col d'Ibardin (317 m) nach links. Der Straße folgend komme ich nach 50 Metern zu einem Abzweig, der schräg rechts auf den Hang hochführt. Während ich mich den steilen Hang hinaufkämpfe, beobachtet mich von oben neugierig eine kleine Herde baskischer Pottok-Ponys, die mitten auf dem Pfad stehen. Vor zweieinhalb Monaten hätte mich das beunruhigt, da ich nicht gerne inmitten großer Pferde stehe. Doch bin ich im Baskenland so vielen Pottok-Herden auf dem GR10 begegnet, dass ich dabei meine Angst überwunden habe. Die stattlichen Pottoks sind kräftige, aber gutmütige Tiere, die überall im Pays Basque anzutreffen sind.

Zwischenstopp in Spanien

An der Herde vorbei flacht der Pfad etwas ab und durchquert wieder endlos scheinende Farnwiesen. Auf einem Schotterpfad geht es dann entlang eines Waldes wieder bergab, bis eine Markierung an einer Lichtung auf einen Abzweig nach rechts weist. Nun geht es auf einem ausgetretenen Waldpfad bergab, bis ein weiterer Abzweig nach rechts kommt. Was zunächst als Forstpiste beginnt, wird nach und nach immer holpriger und matschiger. Nach einer Weile erreiche ich die französisch-spanische Grenze, markiert durch einen Grenzstein. Ein kleines Brückchen führt auf die linke Seite eines Baches, aber der GR10 führt am rechten Bachufer geradeaus über die Grenze weiter. Wohlan, jetzt betrete ich also spanisches Gebiet.

Der schmale Pfad entlang des Bachs nähert sich dem Bachlauf mit jedem Schritt ein wenig, und irgendwann laufe ich direkt an der Wasserkante. Kleinere Felsen liegen teilweise direkt auf dem Pfad. Manche sind mit Moos überzogen, manche so verschlammt und rutschig, dass ich immer wieder ins Straucheln komme und mich teilweise an Zweigen festhalten muss, die in den Weg hineinragen. Meine Hosenbeine sind inzwischen völlig verdreckt. Der Bach ist nur wenige Meter breit und ich kann sehen, dass der Pfad auf der linken Seite des Bachs deutlich besser ist. Naja, aber er ist halt nicht der GR10.

Nach wenigen Minuten erreiche ich die Venta d'Inzola (*6), eine Venta, die lediglich aus einem Café/Restaurant besteht und über eine kleine Schotterpiste auch per Auto erreichbar ist. Da es noch Vormittag ist, ist die Venta noch geschlossen, niemand antwortet auf mein Rufen. Also setze ich meinen Weg fort. Direkt vor der Venta führt wieder ein kleines Brückchen über den Bach, nicht mehr als eine kleine Betonplatte. Auf der anderen Seite trifft der Pfad vom linken Bachufer auf den Weg. Warum haben die den GR10 nicht gleich links des Bachs auf dem besseren Pfad entlanggeführt, frage ich mich. Muss wohl nostalgische Gründe haben.

Hinter dem Brücklein steigt der Pfad kurz steil durch den Wald auf, um bald wieder auf französischen Boden zurückzukehren. Moderat ansteigend geht es nun teilweise auf ausgetretenem Pfad und teilweise auf Schotter durch Wald, bis der Weg eine große Lichtung am Deskargahandiko Lepoa (273 m) erreicht. Lepoa ist das baskische Wort für Bergsattel bzw. Pass, im Französischen Col genannt. Vom Deskargahandiko Lepoa bietet sich nun über die grünen Hügel hinweg ein letztes Mal ein toller Blick auf den Atlantik, bevor der Weg nun am Osthang des Ziburu Mendi (411 m) entlang stetig Richtung Olhette absteigt.

Vom Deskargahandiko Lepoa eröffnet sich ein letzter Blick Richtung Atlantik
Vom Deskargahandiko Lepoa eröffnet sich ein letzter Blick Richtung Atlantik

Früh übt sich…

An schier endlosen Farnwiesen entlang, immer wieder unterbrochen von kleinen Wäldchen, wandere ich auf einem ausgetretenen, teils mit losem Gestein durchsetzten Pfad bergab. Am Wegrand ragen gelegentlich Sträucher und Büsche mit bunten Blumen in den Weg hinein.

Eine kleine Familie, Vater, Mutter und eine Tochter im Vorschulalter, kommen mir entgegen. Die Kleine bezwingt, von ihrem Vater an der Hand gehalten, tapfer die Absätze im Weg, die ihr vorkommen müssen wie einem Erwachsenen zwei Treppenstufen auf einmal. Ich stelle mich kurz zur Seite, damit die drei vorbeikönnen und lobe die Kleine lachend, wie gut sie das macht. Die Eltern bleiben kurz für ein Pläuschchen stehen und erzählen mir, dass sie gerne wandern. Seit ihre Tochter laufen könne, gingen sie auf kleine Wanderungen mit ihr, um sie auch nach und nach für das Wandern zu begeistern. Und das Mädchen scheint offensichtlich großen Gefallen daran zu finden. Als wir uns zum Abschied gegenseitig "bon courage" wünschen, stimmt die Kleine begeistert mit ein. Lachend trennen wir uns und gehen unserer Wege.

Der Weg tritt bald aus dem kleinen Wald, durch den ich hinab kam, und trifft auf eine kleine Straße, an der ein paar Häuser stehen. Der Straße leicht bergab folgend, komme ich kurz vor der Einmündung zur D4 wieder am Gîte d'étape Trapéro Baïta an, dem Ende der ersten Etappe des GR10.

*6: Mit Stand April 2020 ist die in meinem Buch auf S. 51 angegebene Webseite der Venta d'Inzola nicht mehr vorhanden.

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